„Für mich war die Publicity eine neue Erfahrung“

FernUni-Verfassungsrechtlerin Prof. Edenharter hat sich zu Beginn der Corona-Krise zu den Ausgangsbeschränkungen geäußert. In zahlreichen Interviews vertrat sie ihren Standpunkt.


Tagesschau.de, Deutschlandfunk, Der Spiegel – FernUni-Verfassungsrechtlerin Prof. Edenharter ist in der Corona-Krise zu einer nachgefragten Interviewpartnerin geworden. Wie sie damit umgeht und warum sie die Anfrage eines TV-Nachrichtenmagazins abgelehnt hat.

Foto: Volker Wiciok
Andrea Edenharter ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Religionsverfassungsrecht und Rechtsvergleichung.

Professor Edenharter, Sie hatten zu Beginn die Ausgangsbeschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus für verfassungswidrig erklärt. Haben Sie den Schritt, mit Ihrer Meinung an die Öffentlichkeit gegangen zu sein, bereut?

Prof. Dr. Edenharter: Nein, überhaupt nicht. Mein ursprünglicher Ansatzpunkt war ja ein ganz anderer. Erinnern Sie sich noch an die Allgemeinverfügung in Mitterteich?

Die erste Stadt in Bayern, in der eine strenge Ausgangssperre verhängt wurde.

Genau. Und zwar eine sehr viel strengere Ausgangssperre als die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, die wir später im übrigen Bundesgebiet gesehen haben. An dem Abend als die Maßnahmen in Kraft getreten sind, habe ich mit meinem besten Freund diskutiert. Er ist promovierter Theologe und wir waren uns beide einig, dass die Allgemeinverfügung in der Form juristisch und moralisch nicht richtig sein kann. Dann habe ich recherchiert, ob es überhaupt eine Rechtsgrundlage gibt, mir ein paar Gedanken dazu gemacht und einen Beitrag im Verfassungsblog veröffentlicht. Das ist ein Blog mit primär rechtswissenschaftlicher Ausrichtung, für den ich gelegentlich schreibe, auf dem aber auch politische und wirtschaftliche Themen aus juristischer Perspektive diskutiert werden.

Und auf Ihre kritische Erörterung hin meldete sich Tagesschau.de bei Ihnen und wollte ein Interview mit Ihnen machen?

Die AfD-Medien haben meine Äußerungen aus dem Kontext gerissen und ohne mich zu fragen veröffentlicht.

Prof. Andrea Edenharter

(Lacht) Nein, zu dem Zeitpunkt habe ich gar nicht mit Anfragen von Medien gerechnet. Zunächst habe ich relativ viele Zuschriften von Personen bekommen, die nichts mit Medien zu tun haben, auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen, die sich für den juristischen Blick auf das Thema interessierten. Gerade am Anfang gab es noch nicht viele Artikel dazu. Und dann kamen mit der Zeit auch die ersten Anfragen von Medien.

Sie haben die Kontaktbeschränkungen und das Versammlungsverbot rechtlich eingeordnet und gesagt, dass es sich zum Teil um verfassungswidrige Eingriffe in die Freiheitsrechte handelt. Zu dem Zeitpunkt war das Infektionsschutzgesetz noch nicht angepasst worden. Besonders auf Social Media sind Sie für Ihre Einschätzung kritisiert worden. Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?

Ja, ganz ehrlich, damit habe ich gerechnet. Denn in dem Moment, in dem man sich öffentlich äußert, eine klare Meinung vertritt und Stellung bezieht, müssen Sie immer damit rechnen, kritisiert zu werden. Für mich war die Publicity eine neue Erfahrung, aber mir war klar, dass die Diskussion nicht nur freundlich bleiben würde. Ich habe allerdings auch viel Zustimmung bekommen. Und ich weiß mich in guter Gesellschaft mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die im Übrigen ganz ähnlich argumentiert haben wie ich: Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, die Juristin Juli Zeh oder Journalist Heribert Prantl zum Beispiel.

Ihre Position ist auch bei der AfD gut angekommen und Ihre Äußerungen waren prominent auf der Internetseite des Mitgliedermagazins zu lesen.

Das fand ich extrem ärgerlich. Die AfD-Medien haben meine Äußerungen aus dem Kontext gerissen und ohne mich zu fragen veröffentlicht. Ich habe mit denen nicht gesprochen und das werde ich auch nicht tun. Jeder, der meine Schriften liest, wird nach wenigen Zeilen feststellen, dass ich mit dieser Gruppierung überhaupt gar nichts am Hut habe. Ich schreibe viel über Grund- und Menschenrechtsschutz, da dürfte sehr, sehr schnell klar sein, dass ich komplett anders orientiert bin.

Was unternehmen Sie, um sich von der Propaganda der AfD zu distanzieren?

Transparenter Umgang ist der einzige Weg, wie man dem begegnen kann. Das ist genau meine Strategie. Ich denke, es ist viel sinnvoller, sich auf die eigenen guten Argumente zu konzentrieren und diese herauszuarbeiten, als etwa juristische Schritte einzuleiten und damit über das Stöckchen der AfD zu springen. Daher habe ich in allen weiteren Interviews noch gründlicher klargemacht, worum es mir geht und mein eigentliches Anliegen dezidiert in den Fokus gerückt.

Und das wäre?

Mir geht es vor allem darum, eine gesellschaftliche Debatte anzuregen. Gerade jetzt ist es entscheidend, dass wir einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über unsere Grundrechte führen. Diese Diskussion darf man nicht radikalen Kräften überlassen. Ich möchte versuchen, mit meiner Fachkompetenz als Juristin dazu beizutragen, dass die Entscheidungen, die die Politik treffen muss, rechtlich fundiert sind. Wenn eine Entscheidung keine Rechtsgrundlage hat und genau das kritisiert wird, kann der Bundestag nachjustieren. Das ist eine gute Stütze für die Politik und das ist aus meiner Sicht das Wichtigste. Es muss mir nicht jeder zustimmen, aber je mehr wir über diese Themen diskutieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein gutes Ergebnis dabei rauskommt. Mein Anliegen war, eine Diskussion in Gang zu bringen, sonst hätte ich den Blog-Beitrag gar nicht schreiben müssen und könnte mich jetzt in Ruhe zu Hause hinsetzen und meine Hegel-Biografie weiterlesen (lacht).

Stattdessen haben Sie viel zu tun. Nach Ihrem Interview bei Tagesschau.de meldete sich der Deutschlandfunk, dann noch der Spiegel. Lehnen Sie eigentlich auch mal eine Anfrage ab?

Ich hatte mir von Anfang an sehr genau überlegt, wie ich mit den Anfragen umgehe. Und einige Anfragen habe ich auch schon abgelehnt, sogar eine der ZDF-Nachrichtensendung heute-journal, weil ich den Eindruck hatte, dass ich mich bei einem so schnellen Format inhaltlich nicht auf einem für mich zufriedenstellenden Niveau äußern kann. Lieber sind mir Formate, in denen ich etwas mehr Hintergrund erklären kann. Allerdings halte ich es auch für wichtig, dass die Journalistinnen und Journalisten gerade jetzt Gesprächspartner und -partnerinnen bekommen. Die Medien spielen eine große Rolle und haben eine unglaublich wichtige Funktion in unserer Gesellschaft – sie kontrollieren die Politik und erhalten die Meinungsvielfalt. Vielleicht kann eines meiner Interviews einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Sarah Müller | 23.04.2020