Europa von Schweden aus gesehen

„Jede und jeder hat seinen persönlichen Hintergrund: Ich bin in Deutschland geboren und mein Blick geht von Deutschland aus auf andere Länder, die deutsche Geschichte kenne ich am besten. Es ist außerordentlich schwer, diese Perspektive auch nur einmal kurzfristig zu wechseln.“ Gelegenheit dazu bot Prof. Dr. Felicitas Schmieder ein halbjähriger Forschungsaufenthalt in Schweden, den ihr der Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbank (Sveriges Riksbank) ermöglichte. In Kooperation mit der Alexander von Humboldt-Stiftung hatte er der Historikerin an der FernUniversität in Hagen den 27. Schwedischen Forschungspreis für die Geistes- und Sozialwissenschaften zuerkannt.

Eine Frau blickt in Richtungs Kamera. Foto: Veit Mette
Prof. Felicitas Schmieder

„Ich bin mit einigen Themen nach Stockholm gereist, von denen ich wusste, dass ich sie mit meinen Gastgeberinnen und Gastgebern dort teile“, so die Leiterin des Lehrgebiets Geschichte und Gegenwart Alteuropas. „Das waren vor allem meine Kartographie-Forschungen, insbesondere zu historischen Welt- und überregionalen Karten.“ Daraus entstand ein reger Austausch der Historikerin mit ihrem Stockholmer Kollegen Kurt Vilads Jensen, einem ausgewiesenen Experten für Kreuzzüge im Ostseeraum und im Heiligen Land. Auch für Schmieders Hauptforschungsgebiet Regionalkartographie ergaben sich überraschende Kontakte zum Stockholmer Reichsarchiv.

Neue Sichtweisen

„Es war höchst spannend, durch die Diskussion der alten Karten die Perspektive wechseln und einmal von Norden aus auf Europa blicken zu können“, resümiert Schmieder. „Das war sehr nützlich für mein Interesse an der Sicht der Schwedinnen und Schweden auf die Europäische Union und ihren Ansprüchen an uns.“ Sie wünschen sich vor allem, dass die nordischen Länger als Teil Europas gesehen und nicht vergessen werden.

Im Mittelalter war die Ostsee für Schweden keine Grenze zu Europa, sondern fast ein schwedisches Binnenmeer. Stockholm wurde von der deutschen Hanse gegründet, dort wurde bis ins 16. Jahrhundert Niederdeutsch gesprochen. Nordostdeutschland war im 14. und 15. Jahrhundert schwedisch.

Dennoch fehlen die nordeuropäischen Länder großenteils auf Landkarten: „Die waren am Rand und haben eigentlich mit Europa wenig zu tun“, so die mitteleuropäische Sichtweise. Sie gilt, so Schmieder, auch heute oft noch im Hinblick auf die nordische Geschichte. So glauben viele Skandinavierinnen und Skandinavier heute: „‚Wir sind doch für Euch uninteressant und unwichtig. Das ist mir in Stockholm erst richtig klargeworden, als wir das unter Kolleginnen und Kollegen intensiv diskutiert haben.“

Vielleicht könnte sich Deutschland ja auch als ein Teil Nordeuropas verstehen: „Das tut es aber nicht, wir ‚fühlen uns als Westeuropa‘, noch nicht einmal ‚als Mitteleuropa‘.“

Finnische Sympathien

Die Menschen in Finnland dagegen erinnern sich auch heute noch an den Ersten Weltkrieg als „die Zeit, in der die Deutschen sie ‚vor den Russen gerettet‘“ haben. „Dass die Deutschen damals dort einmarschierten, um gegen Russland zu kämpfen, gehört nicht zu unserem Narrativ vom Ersten Weltkrieg“, erläutert Schmieder, „zum finnischen schon, da ist Sympathie, die wir genauso wenig verstehen wie viele Feindseligkeiten in anderen Regionen“.

Vorträge zu Forschungsthemen

Aus den Plänen der FernUni-Forscherin, in Stockholm „in Ruhe zu forschen“, Projekte zu planen und auf den Weg bringen ergab sich unter anderem eine Keynote zu einer dortigen Veranstaltung in der zweiten Augustwoche zum „Globalen Norden“. Er soll ein Gegenbegriff zum „Globalen Süden“ sein. Zudem hatte sie bereits in einer hochschulöffentlichen Veranstaltung in Stockholm einen Vortrag über „Europabilder“ – ebenfalls ein wichtiges Forschungsgebiet in Hagen – gehalten.

Ein historisches Modell der Stadt Stockholm Foto: Felicitas Schmieder
Ein historisches Modell der Stadt Stockholm
Gerd Dapprich | 01.08.2019