Wie entstehen Hass, Vorurteile und Radikalisierung?

Europa 2019: FernUni-Wissenschaftlerin Dr. Helen Landmann erklärt, woher Stimmungsmache gegen Europa und die Demokratie aus psychologischer Sicht rührt.


Zwei Schuhe mit Deutschlandflagge auf den Kappen stehen vor dem Schriftzug Fremdenhass. Foto: Stadtratte/iStock/Getty Images

„Brüssel ist an allem schuld.“ – „Die EU ist ein Bürokratie-Monster; die Politik abgehoben und elitär. Wir wehren uns.“ So machen EU-kritische und EU-feindliche Parteien im Vorfeld der Europawahl Stimmung gegen Europa. Die Sprache ist immer emotional, oft radikal und mitunter hasserfüllt. Nachrichten gelten gemeinhin als „Fake News“. Prognosen sagen voraus, dass rechtskonservative und -populistische im Mai Zugewinne verbuchen werden – und zwar quer durch die Mitgliedsstaaten.

Worauf Vorurteile oder Hass gedeihen und wieso die Stimmungsmache verfängt, untersucht Dr. Helen Landmann aus dem Lehrgebiet Community Psychology an der FernUniversität in Hagen. Sie erklärt, welche psychologischen Mechanismen zu den Wahlerfolgen rechtsgerichteter Parteien führen. Auf einer Tagung in Hannover hat die Jungwissenschaftlerin ihre Erkenntnisse vorgestellt und diskutiert: „Feindbild Europa: Umgang mit antieuropäischer und antidemokratischer Stimmungsmache.“

Informationsblasen

Für die Einstellungen gegenüber europäischer Politik sind insbesondere Themen wie Flucht und Migration, Information respektive Desinformation und Radikalisierung relevant. Hier setzen Rechtskonservative an.

Was Menschen wahrnehmen und denken ist nicht immer objektiv, vielmehr ist es von ihren Wünschen und Bedürfnissen geprägt: „Motiviertes Denken“ nennt das die Psychologie. „Rechtspopulisten sprechen Bedürfnisse an“, zieht Landmann psychologische Wirkmechanismen heran. Seit 2016 forscht die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FernUniversität zur Rolle von Emotionen für das soziale Zusammenleben.

Portrait einer Frau Foto: FernUniversität
„Rechtspopulisten sprechen Bedürfnisse an“, sagt Helen Landmann.

„Meine“ Gruppe – fremde Gruppe

Unter motiviertes Denken fällt: Menschen streben nach einem hohen Selbstwertgefühl. Besonders relevant dafür ist die soziale Identität zu einer Gruppe, die sich über Merkmale wie Nationalität, Alter oder Beruf definiert. Das Zugehörigkeitsgefühl erhöht den Selbstwert. „Verstärkend wirkt, gleichzeitig andere, also fremde Gruppen abzuwerten. „Übertragen: Je stärker sich eine Person mit der eigenen nationalen Gruppe identifiziert, desto negativer ist ihre Einstellung gegenüber Migration“, so Landmann.

Was im Ansatz hilft: eine gute Eingebundenheit in Familie, Arbeit oder Nachbarschaft. Das schwächt Diskriminierungsprozesse. Die positiven Auswirkungen solcher sozialen Beziehungen untersucht die Wissenschaft unter „soziale Heilung“ (social cure). „Wer sozial gut eingebunden ist, hat vermutlich eine stärkere Resilienz gegenüber Diskriminierungen und Vorurteilen als jemand, der sich mit einer abstrakten Gruppe – ohne Bindungen – identifiziert.“
Oder Gruppenspezifika fallen komplett weg, indem sich Menschen „zur gesamten Menschheit statt mit der Nation zugehörig fühlen“.

Auch das Bedürfnis nach Einzigartigkeit macht anfällig für Vorurteile. „Es gibt Menschen, die gern an Verschwörungstheorien glauben“, beschreibt Landmann und erläutert: „Sie bilden sich ein, einer der wenigen Menschen zu sein, die die Welt verstanden haben. Es stört sie dann auch nicht, dass sie an Verschwörungstheorien glauben, die sich grundsätzlich widersprechen.“

Kontakthypothese

Außerdem seien Menschen besonders dann aggressiv und fremdenfeindlich, wenn sie sich bedroht fühlen. Dahinter stecken nicht unbedingt reale Szenarien. Das kann Furcht davor sein, dass Migration einen negativen Einfluss auf die deutsche Kultur hat oder durch Migration die Kriminalitätsrate steigt. Oder, dass Migration Kosten verursacht, Arbeitsplätze und Wohnraum knapper werden.

Zum Teil wird eine stärkere Bedrohung wahrgenommen als tatsächlich gegeben ist. Dagegen kann man vorgehen: mit konkreten, objektiven Informationen und Zahlen, die diese untermauern. „Hilfreich gegen viele der angeführten Probleme ist es, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Dadurch sinkt die wahrgenommene Bedrohung, nach dem Motto ,So schlimm sind die gar nicht‘.“ Diese Befunde sprechen für die Wissenschaftlerin etwa dagegen, Geflüchtete dezentral unterzubringen.

Radikalisierung

Warum sich Menschen radikalisieren, hängt mit dem Bedürfnis nach Bedeutsamkeit zusammen. Wer nach einem Sinn im Leben sucht und damit nach der Bedeutsamkeit des eigenen Lebens, findet politisch extreme Videos bedeutsamer und bewegender als andere. „Wenn man diesen Wunsch in andere Kanäle lenkt, müsste das die Anfälligkeit für Radikalisierung reduzieren“, zieht Landmann einen Rückschluss.

Viele Forschende gingen inzwischen davon aus, dass Radikalisierung zu einem Kreislauf führt, indem sich Rechtsextremismus und islamischer gegenseitig bedingen: „Angriffe auf Flüchtlingsheime rufen islamistische Radikalisierungstendenzen hervor, da in diesen Kreisen das Bedrohungsgefühl steigt.“

Bildung als Schlüssel

Wie sich gegen solche negativen Effekte steuern lässt? „Bildung ist ein Schlüssel“, betont die FernUni-Wissenschaftlerin. „Idealerweise wird schon in der Schule politische Bildung und Medienkompetenz vermittelt, also der Umgang mit Medien und deren Wirksamkeit geschult, um Fake News zu entlarven.“ Es kann auch helfen, die eigene Reflexionsfähigkeit zu fördern. „Wenn wir uns bewusst machen, dass unser eigenes Denken von Bedürfnissen und Interessen geprägt sein kann, sind wir weiter.“

Helen Landmann möchte ihre Forschungsarbeit gern auf die Praxis anwenden. „Mitunter denken wir in der Wissenschaft zu idealistisch. Deshalb finde ich es wichtig, einen Austausch mit Politik anzustreben. Eine Tagung wie die in Hannover ist ein guter Ansatzpunkt dafür.“

Anja Wetter | 07.05.2019