Mittelalterliche Landvermessung nach römischem Vorbild erforscht

Dr. Uta Kleine hat sich im Historischen Institut der FernUniversität habilitiert. Für ihre Arbeit zu spätantiken und mittelalterlichen Handschriften bekam sie die Venia Legendi.


Eine Frau sitzt am Schreibtisch, neben ihr liegt ein Stapel Bücher. Foto: FernUniversität
Dank Digitalisierung konnte Uta Kleine die hochempfindlichen Handschriften zur Landvermessung – etwa aus der Vatikanischen Bibliothek – analysieren.

Jede der untersuchten Handschriften ist ein Unikat. „Die Kombination aus Text und Bild macht sie jeweils einzigartig“, sagt Privatdozentin Dr. Uta Kleine. Die Historikerin aus dem Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas hat Dokumente aus der Zeit zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert untersucht: aufwändig gestaltete „Fachliteratur“ zur Landvermessung, die eindeutig auf Einflüsse aus dem Römischen Reich zurückgeht.

„Ich bin auf einen Bestand von etwa 20 spätantiken und mittelalterlichen Handschriften aufmerksam geworden, der außergewöhnlich war“, beschreibt Kleine. Ihre wissenschaftliche Neugier war geweckt und das Thema für ihre Habilitation geboren. Die hat sie nun abgeschlossen und die Venia Legendi von der FernUniversität in Hagen erhalten. In ihrer Arbeit hat Kleine analysiert, welche Funktion die Handschriften hatten und welche Rückschlüsse auf die Entwicklung von Kultur und Politik zulässig sind.

Digitale Handschriften

Für ihr Quellenstudium hätte Kleine eigentlich quer durch Europa reisen müssen: nach Wolfenbüttel, Berlin, Erfurt und Paris, in den Vatikan, nach Barcelona, Florenz und Neapel. Um die fragilen, hochempfindlichen Schriften anfassen zu können, müssen Handschuhe getragen werden, und das Arbeiten ist nur unter strenger Aufsicht und mit allergrößter Vorsicht möglich. Dann kam ihr ein Projekt zur Digitalisierung historischer Dokumente zur Hilfe. „Innerhalb eines Jahres lagen die fünf wichtigsten Handschriften digital vor.“

Nun wurden viele Archivbesuche überflüssig, und sie konnte am eigenen PC forschen: „Wann immer ich wollte, habe ich die Handschriften betrachtet und darin geblättert. Es wurde auch einfacher, Handschriften, die an verschiedenen Orten liegen, vom eigenen Schreibtisch aus miteinander vergleichen.“ Die methodische Herausforderung bestand darin, die Schriftstücke zu datieren und zu lokalisieren. Anhand von Schrifteigenschaften können Dokumente bestimmten Schreibstuben zugewiesen werden.

Drei Personen stehen nebeneinander. Eine Frau hält eine Urkunde vor sich. Foto: FernUniversität
Gratulieren PD Uta Kleine zur Habilitation: Dekan Prof. Jürgen Nagel (li.) und Prodekan Prof. Hubertus Busche (KSW-Fakultät).

Standardisierte Raumplanung

Warum lebte das römische Vermessungswesen nach dem Zerfall des Römischen Reiches wieder auf? Die Idee der Römer war einfach und dennoch hochtechnisch: das Land in quadratische Parzellen aufzuteilen. „Das ist heute noch in Luftaufnahmen zu erkennen, vor allem in den Städten und Gebieten, in denen Römer gesiedelt und gebaut haben“, so Kleine. „Durch die geometrische Aufteilung ist das Gebiet leicht zu lokalisieren und zuzuweisen.“ Standardisierte Stadtplanung.

Die Fragen nach Raumordnung und -nutzung sind stark politisch geprägt: „Land und Boden waren die wichtigsten Quellen von Wohlstand: Für die Besitzenden bedeutete es, potenziell Ertrag zu erzielen, und für den Staat fielen Steuereinnahmen ab.“ Wer das Land besitzt, hat die Macht.

Fiskalische Geometrie

„Ich nenne es ,fiskalische Geometrie‘.“ Vom Messen hing die Wertbestimmung des Landes ab. Damit waren auch die „Kundigen der Geometrie und Landvermessung“ gefragt. Die Anwendung war in Momenten wichtig, wenn etwa Reiche und dadurch das Land geteilt wurden. „Zum Verwalten eines Gebietes gehören Zählen, Messen – das haben alle Herrschenden durch die Jahrhunderte verstanden.“

Das standardisierte Römische Modell galt auch im Mittelalter als Leitmodell, obwohl da die römische Praxis der Landvermessung schon aufgegeben worden war. Doch das Römische Reich blieb der Referenzpunkt des politischen Denkens, und das antike Wissen wurde ab- und fortgeschrieben. „Im Laufe der Jahrhunderte wurde der sichtbare Anteil des antiken Wissens immer kleiner, und neues Wissen schlug sich in den Handschriften nieder. Es lagerte sich gewissermaßen an das tradierte Wissen an.“ Gleichzeitig erfolgte dadurch ein Wissens-Abgleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit, von dem vor allem die Herrschenden profitierten. Raumwissen war Herrschaftswissen und blieb geachtet, auch als sich die realen Verhältnisse änderten.

Regionalgeschichte

Uta Kleine wird der FernUniversität zunächst erhalten bleiben: Ihr Vertrag als Akademische Oberrätin wurde für vier Jahre verlängert. Sie hat an der Hagener Hochschule promoviert und sich nun habilitiert. Sie stammt aus Hagen – kennt die Geschichte der Region.

Die Zeit möchte sie nutzen und ihre wissenschaftlichen Ideen vertiefen: Vorträge und Lehrveranstaltungen zur Geschichte der Region an Ruhr, Lippe und Rhein. „An vielen Universitäten gibt es Lehrstühle für Landesgeschichte. Doch das Ruhrgebiet ist ein modernes Raumgebilde, und seine Geschichte ist wissenschaftlich noch gar nicht wirklich erforscht.“ Viel Wissen lagere in Köpfen, die Bestände schlummern in Museen und Archiven. „Diese Schätze systematisch zu heben, sie mit neuen Technologien zu erschließen und zu erforschen – dazu könnten Impulse von der FernUni ausgehen.“

Anja Wetter | 19.03.2019