Willkommen in Hagen?!?

Was sind die größten Herausforderungen für das Miteinander im Alltag? Eine Studie an der FernUniversität befragt dazu geflüchtete Menschen aus Syrien.


Vier junge Menschen sitzen bei einem Fest mit Essensständen auf einer Wiese. Rechts steht ein Plakat mit der Aufschrift Demokratie leben. Foto: Nicole Grote
Ein Stück Alltagskultur: Beim Festival „Vielfalt tut gut“ in Hagen feiern Menschen unterschiedlichster Nationalitäten miteinander.

2015 war das Jahr der Willkommenskultur. Deutschland öffnete für Hundertausende Schutzsuchende aus Syrien und Krisenregionen die Grenzen. Auch in Hagen etablierte sich spontan eine ehrenamtliche Infrastruktur für Geflüchtete. Viele blieben, leben in der Stadt. Wie ist es heute um offene Arme und helfende Hände bestellt – und zwar aus Sicht der Geflüchteten?

Studie mit Geflüchteten

„Wir haben eine Studie über die Willkommenskultur in Hagen initiiert. Wir möchten herausfinden, wie das Aufnahmeklima erlebt wird, und was die größten Herausforderungen für das Zusammenleben sind“, fasst Dr. Jolanda van der Noll, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Community Psychology und Initiatorin der Studie zusammen. Der besondere Aspekt daran: Die Teilnehmenden stammen aus Syrien. „Wir konzentrieren uns auf eine Gruppe Geflüchteter in einer Kommune. Der Fokus auf diese Geflüchteten fehlt bisher“, ergänzt die Wissenschaftlerin von der FernUniversität in Hagen.

Das soll sich ändern. Die Leitfragen lauten: Wie nehmen Geflüchtete Diskriminierung wahr? Worin bestehen für sie die stärksten persönlichen Herausforderungen? Inwieweit möchten sie die Kultur der Mehrheitsgesellschaft annehmen und welche Praktiken möchten sie aus der eigenen Kultur beibehalten? Welche Angebote zur Integration gibt es in Hagen und wie hilfreich sind diese Angebote?

Van der Noll führt die Studie durch in Kooperation mit externen Partnern wie der Diakonie Hagen, der AWO Hagen und der ehrenamtlichen Initiative „Freiwillige Hände in Hagen“. Auch Prof. Dr. Anette Rohmann und Anna Haase vom Lehrgebiet Community Psychology arbeiten mit an der Untersuchung. Gefördert wird das Projekt im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Empfehlungen für die Praxis

„Aus der Umfrage möchten wir neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichst praktische Handlungsempfehlungen ableiten: für die Teilnehmenden selbst, aber auch im Rahmen des Möglichen für Institutionen, die mit geflüchteten Menschen zu tun haben. Daher werden wir die Ergebnisse auch mit unserer Zielgruppe – den in Hagen lebenden Menschen aus Syrien – und den Praxis-Partnerinnen und -partnern diskutieren.“

Dr. Jolanda van der Noll hat selbst „den Blick der Externen“ auf eine bestehende Gemeinschaft. Seit 2014 arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FernUniversität im Lehrgebiet Community Psychology bei Prof. Dr. Anette Rohmann; seit 2015 hat sie ein Habilitandinnen-Stipendium.

Ein Banner mit der Aufschrift Farbe bekennen in Hagen und Demokratie leben. Foto: Nicole Grote
Hagen ist bunt. Um den gewaltfreien und demokratischen Umgang zu stärken, unterstützt das Bundesprogramm „Demokratie leben“ lokale Initiativen.

Kontakt in Community

Die Studie ergänzt Van der Nolls bisherige wissenschaftliche Arbeit. In ihrer Forschung geht es grundsätzlich um Akzeptanz von muslimisch geprägten Menschen, aus der Sicht der europäischen Mehrheitsgesellschaft. Nun möchte sie die „neu Hinzugekommenen“ in den Fokus nehmen.

Die Zahl der Teilnehmenden an der Umfrage konnte durch Kontakte in die syrische Community in Hagen und das Verteilen von Flyern in einem syrischen Supermarkt erhöht werden. „Weitere Teilnahmen an der Befragung sind für unsere quantitative Auswertung erwünscht“, wirbt Jolanda van der Noll.

Wissenschaftliche Grenzgängerin

Studiert hat sie Politikwissenschaften in den Niederlanden (Leiden). Bevor sie in ihrem Studienfach promovierte, belegte sie ein interdisziplinäres Masterstudium in Utrecht/NL. „Die sozialpsychologische Perspektive hat mich immer schon interessiert, und in meinem Studium der Politikwissenschaften habe ich schon Schwerpunkte in Psychologie gesetzt.“ Inhaltlich spielten die Themen Migration und Multikulturalismus bereits eine Rolle.

Seitdem ist sie eine Grenzgängerin und arbeitet an der Schnittstelle von Politikwissenschaften und Psychologie. Diese Position hat sie verinnerlicht: „Wenn ich auf einer politikwissenschaftlichen Tagung bin, denke ich die psychologischen Aspekte mit – und umgekehrt.“

Einer ihrer Forschungsschwerpunkte begleitet sie kontinuierlich in ihrer wissenschaftlichen Karriere seit ihrer Masterarbeit: Die Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber dem Islam sowie gegenüber Musliminnen und Muslimen. „Die Unsicherheit davor, ob ein Thema nach vielen Jahren nicht zu eindimensional ist, war vollkommen unberechtigt“, lacht Van der Noll.

Ausblick

Die Wissenschaftlerin denkt noch weiter: „Die Umfrage könnte man auf Menschen aus Syrien in andere Städte, oder auf andere Bevölkerungsgruppen in Hagen ausdehnen – auch zum Vergleich. In Hagen gibt es zum Beispiel viel Diskussion über die Zuwanderung aus Südosteuropa. Hieraus ergeben sich interessante Forschungsfragen.“

Sie selbst hat in den über vier Jahren, in denen sie in Hagen lebt, die Veränderungen im Bevölkerungsmix wahrgenommen. „Das wirkt sich auf die angestammte Bevölkerung aus.“

Anja Wetter | 25.02.2019