Bericht Klausurtagung in Leipzig 2022

Foto: Veit Mette

Die Klausurtagung des Lehrgebiets Japanrecht fand am 21. Und 22. Oktober in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Japanologie am Campus der FernUniversität in Leipzig statt.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen war Frau Ulrike Heinze der Universitätsbibliothek Leipzig so freundlich, den TeilnehmerInnen in einer Führung den Bereich Ostasien zu zeigen und auf die besonderen Herausforderungen des Standtorts Leipzig sowie die Entwicklung des Fachbereichs aufmerksam zu machen.

Am Campus der FernUniversität folgte dann nach einer kurzen Einleitung durch Prof. Weitzdörfer der Beitrag von Felix Jawinski, Uni Leipzig. Zwar konnte der Referent nicht persönlich vor Ort sein, doch glücklicherweise hatte er seinen Beitrag aufgezeichnet, um so den ZuhörerInnen dennoch einen Einblick geben zu können. Herr Jawinski führte aus, wie es in Japan zur Bildung eines atomaren Dispositivs kam. Insbesondere beleuchtete er dabei, wie der Begriff genpatsu (im Gegensatz zu genbaku) in Japan hohe mediale Aufmerksamkeit bekam und die Atomenergie medial als friedliches und vor allem sicheres Mittel zur Energieerzeugung propagiert wurde. Herr Jawinski erklärte, wie stets ähnliche Begründungsmuster für die Nutzung von Atomenergie dazu führten, dass trotz der Erfahrung der Zerstörung durch die Atombomben zum Ende des Zweiten Weltkriegs und der „Atomskepsis“ in der Bevölkerung ein weitreichender Ausbau von Atomkraftwerken möglich war. Zum Hintergrund des Projektes finden Sie hier weitere Informationen: https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/406798635?language=en

Danach stellten Marc Nalenz und Stephanie Krampe ihre aktuellen Forschungsergebnisse und Arbeiten dem Publikum vor. Herr Nalenz referierte zu einem Thema aus dem Aktienrecht. Vor dem Hintergrund einer Entscheidung des Distriktgerichts Tōkyō bezüglich der Haftung der ehemaligen Geschäftsleitung des Energieunternehmens und Atomkraftwerkbetreibers TEPCO wurde das Rechtsinstitut der derivativen Aktionärsklage („derivative action“) in Japan (Art. 847 kaishahō) und Deutschland (§ 148 AktG) erläutert und verglichen. Dabei fiel insbesondere auf, dass die rechtlichen Hürden für einen Geltendmachung von Ansprüchen der Aktiengesellschaft gegen Mitglieder der Geschäftsleitung durch Minderheitsaktionäre in Deutschland, insbesondere durch strenge Klagezulassungsvoraussetzungen, im Vergleich zu Japan deutlich höher liegen. Das (nicht rechtskräftige) Urteil vom 17. Juni 2022 geht auf eine solche derivative Aktionärsklage zurück und sieht vor, dass vier ehemalige Manager von TEPCO für die Folgen der Fukushima Daiichi-Katastrophe TEPCO einen Schadensersatz in Höhe von 95 Milliarden Dollar zahlen müssen.

Frau Krampe widmete sich in ihrer mit Sehr Gut bewerteten Bachelorarbeit der Frage, inwieweit regulatorisches Versagen als Auslöser für die Katastrophe von Fukushima betrachtet werden kann. Frau Krampe kam zu dem Schluss, dass das Aufkommen der Katastrophe trotz hinreichender regulatorischer Instrumente zwar nicht ausgeschlossen werden kann, die auffällige Abwesenheit dieser, die Schwere der Katastrophe in Fukushima Dai’ichi allerdings zumindest begünstigte. Die Vereinnahmung der Interessen verschiedener politischer und bürokratischer Akteure durch die Industrie sei aufgrund vorherrschender Institutionen in Form von Gesetzen und gesellschaftlichem Konsens erleichtert worden und habe den Betreibern von Atomkraftwerken oftmals eine Umgehung höherer Sicherheitsmaßnahmen und den damit einhergehenden Kosten erleichtert.

In seinem sehr interessanten Vortrag zum Thema „Bürgerkomitee und die Klageerzwingung im japanischen Strafverfahren“ präsentierte Prof. Kazushige Doi das Bürgerkomitee, welches als Instrument für ein Mehr an Demokratie innerhalb des Strafverfahrens bzw. im Vorfeld desselben sorgen soll. Die geringe Zahl der tatsächlich erfolgreichen Klagen sorgte dabei für einige Überraschung. Die Frage nach Grenzen und Sinnhaftigkeit dieses Instruments sorgte für viel Diskussion und Rückfragen.

Zum Abschluss des Tages erhielt die Gruppe eine abendliche Führung durch das beeindruckende Bundesverwaltungsgericht, welches auf eine bewegte Geschichte zurückblicken kann.

Den Auftakt an Tag Zwei der Klausurtagung machte Leon Ritter mit seinem Vortrag. Herr Ritter stellte den teilnehmenden Forschenden aus Hagen und Leipzig sein Dissertationsthema vor, das sich mit Gesetzen zur Regulierung von Hate Speech im internationalen Vergleich auseinandersetzt. In seinem Vortrag legte er sein Erkenntnisinteresse dar und beschrieb, wie er mithilfe von Methoden aus den empirischen Sozialwissenschaften ein rechtswissenschaftliches Phänomen zu erklären versucht. Die zentrale Frage, die er mit seinem Forschungsvorhaben zu beantworten versucht, ist die Ursache für die Divergenz der Regulierungsansätze in unterschiedlichen Jurisdiktionen. Er legte dar, dass sein Forschungsdesign interdisziplinären Anspruch hat und Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft miteinander verbindet. Durch die Entstehung neuer Kommunikationsräume infolge der voranschreitenden Digitalisierung der Gesellschaf sind Fragen der Regulierung von Hate Speech und des Schutzes der freien Meinungsäußerung im zunehmenden Maße entscheidend, um das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben in demokratischen Gesellschaften zu sichern, woraus sich die Relevanz von Herrn Ritters Forschungsthema ergibt.

Dr. des. Mladenova der Japanologie Leipzig präsentierte später am Vormittag ihre Erkenntnisse zur postkolonialen und postmigrantischen Erinnerungsarbeit und transnationalem Feminismus am Beispiel der Friedensstatue in Berlin. Diese und ihre Aufstellung hatte seinerzeit in den Medien Wellen geschlagen und war in Japan auf Gegenwehr gestoßen. Frau Mladenova beleuchtete dabei unter anderem, welche Hintergründe und Motive das zivilgesellschaftliche Bündnis hinter der Statue hatte. Interessant waren insbesondere auch Bilder der Interaktion der Studierenden in Leipzig mit der Friedensstatue im Rahmen einer Vorlesungsreihe. In der Diskussion am Anschluss an den Vortrag ging es unter anderem um die Frage, wie mit einer „Vereinnahmung“ des Schicksals der Trostfrauen für generelles Engagement gegen Rechts aufgenommen wird und wie die Betroffenen damit umgehen. Des Weiteren wurde diskutiert, wie JapanerInnen mit einer derartigen direkten Konfrontation einer Verantwortung - wenn nicht gar Schuld - umgehen. Informationen zum Hintergrund sind unter anderem hier zu finden: https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/7-was-bedeutet-es-dass-eine-friedensstatue-in-form-einer-trostfrauaufgestellt-wurde-2020-10-05

Es folgte ein aktueller Überblick in Forschungsstand und Austausch mittels verschiedener Veranstaltungen und Symposien, die Prof. Weitzdörfer und Herr Ritter in der letzten Zeit besucht hatten. Interessant war unter anderem der antizipierte Niedergang der Forschung zum Japanischen Recht auf dem amerikanischen Kontinent.

Nach dem Mittagessen bot Frau Karina Hermes einen Einblick in die Praxis der Arbeit als ermächtige Übersetzerin für die Sprachen Japanisch und Deutsch. Anhand mitgebrachter Beispiele machte sie auf besondere Herausforderungen und Tücken aufmerksam. Auf Interesse stieß in der Diskussion der Umstand, dass japanische Familienregister, die als „Universaldokument“ sehr oft verwendet werden, ein geradezu ausschweifendes Maß an Informationen über Dritte enthalten können. Dies sahen sowohl die Referentin als auch die ZuhörerInnen als problematisch an.

Frau Prof. Mayu Terada mit ihrem Vortrag ''Al and Law in Japan Foto: Marc Nalenz

Den Abschluss an offiziellen Vorträgen bot Frau Prof. Mayu Terada mit ihrem Vortrag ''Al and Law in Japan". Prof. Terada zeichnete nach, welchen Herausforderungen das Japanische Recht mit Blick auf Künstliche Intelligenz gegenübersteht. Unter anderem machte sie deutlich, dass es kein einheitliches Gesetz zur Regulierung und Klärung von Verantwortlichkeiten bei Künstlicher Intelligenz gibt. Außerdem sei es momentan noch so, dass die einzelnen Ministerien und Behörden jeweils allein einen Umgang mit Künstlicher Intelligenz in Angriff nähmen und dieser Umgang auch eher als „Reaktion“ denn als „Aktion bzw. Prävention“ zu sehen sei.

Schließlich konnte das Kapitel zum jap. Umweltrecht, an dem Prof. Weitzdörfer für die Elgar Encyclopedia of Asian Law gearbeitet hat, feierlich abgeschlossen werden. Dies bildete das offizielle Ende der Klausurtagung.

Ziel der Veranstaltung war es, den wissenschaftlichen Nachwuchs am Lehrgebiet Japanrecht der FernUniversität sowie der Professur für die Japanologie Leipzig zu fördern und den wissenschaftlichen Austausch zwischen beiden Gebieten zu ermöglichen. Beiden Seiten wurde in Vorträgen die Gelegenheit gegeben, Arbeiten zu präsentieren und wertvolle Hinweise sowie Anregungen aus den Rückfragen und Diskussionen mitzunehmen. In entspannter und angenehmer Gesprächsatmosphäre konnten Ideen geäußert und diskutiert werden. Darüber hinaus profitierten die TeilnehmerInnen insbesondere von den Vorträgen der bedeutenden ExpertInnen auf ihrem Gebiet Prof. Doi, Prof. Terada und Prof. des. Mladenova. Zudem bot die Uni Leipzig, die maßgeblich am DFG-Forschungsprojekt zu Fukushima „split society“ beteiligt ist, Einblick in den aktuellen Stand der Forschung.

Leonard Kosub | 10.09.2024