Veranstalter*innen: Prof. Dr. Thomas Bedorf, Sarah Kissler, Dr. Thorben Mämecke
Hermeneutiken als Deutungspraktiken sind nie machtfrei gewesen. Schon immer wurde ihnen ein Verfehlen des eigenen Wahrheitsanspruchs nachgewiesen. Unter Bedingungen der Digitalität verschieben sich die Weisen, das Verhältnis von Macht, Deutung und Wirklichkeit zu befragen. Wo sich Bilder, Texte und ihre Produzent*innen in Hinsicht auf Verfügbarkeit, Kommunizierbarkeit und technische Manipulierbarkeit vervielfältigt haben und volatiler geworden sind, werden Deutungsprozesse zunehmend technologisch opak und unreflektiert. Eine Analyse der digitalen Deutungsmacht, die selbst an der Erzeugung von Wirklichkeiten beteiligt ist, soll in diesem Panel erprobt und diskutiert werden.
Vom Museum zum kuratorischen Apparat – Zur (Re-)Konfiguration musealer Deutungsmacht unter digitalen Bedingungen
Jun. Prof. Dr. Jennifer Eickelmann (FU Hagen)
Vor dem Hintergrund der zunehmenden ‚Plattformisierung‘ von Museen bzw. Museumsöffentlichkeiten verkomplizieren sich Aushandlungsprozesse musealer Deutungsmacht insofern, als plattformspezifische Ästhetiken und Praktiken – samt entsprechender algorithmisierter Aufmerksamkeitsmärkte – an Relevanz zunehmen und dabei historische Grenzziehungen herausfordern. Der Vortrag fokussiert das Verhältnis zwischen Museen und der Kurzvideo-Plattform TikTok seit den coronabedingten Museumsschließungen. Zentrale Fragen lauten: Welche Kämpfe um Deutungsmacht lassen sich anhand dieses spannungsreichen Verhältnisses ablesen? Und welche performativen Praktiken fordern historische Grenzziehungen des Musealen inwiefern heraus? Auf dieser Grundlage und in Anlehnung an das Konzept des Situierten Wissens (Haraway) sowie den Agentiellen Realismus (Barad) macht der Beitrag einen Vorschlag zur Reformulierung des Museums als kuratorischem Apparat.
Jennifer Eickelmann ist seit April Juniorprofessorin für Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften sowie am FSP digitale_kultur der FernUniversität in Hagen. Zuvor war sie wiss. Mitarbeiterin am Lehrgebiet Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziale Ungleichheiten an der Fakultät Sozialwissenschaft der TU Dortmund. 2017 wurde sie am Institut für Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum mit einer Arbeit zur Materialität mediatisierter Missachtung promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Medientheorie, Ungleichheits-/Kultursoziologie, Gender/Queer Media Studies und beschäftigen sich mit der digitalen Transformation von Subjektivierungsprozessen und affektiven Öffentlichkeiten sowie dem digitalen Wandel des Kuratorischen im Kontext von Museen.
„Broadcast Yourself“. Die Täuschung einer Demokratisierung von Deutungsmacht
Dr. des. Sergio Genovesi (Universität Bonn), Dr. Julia Mönig (Universität Bonn)
Die Ermöglichung der Massenproduktion von digitalen Inhalten wird auf vielen digitalen Plattformen als eine Form der Demokratisierung von Prozessen der Wahrheitsproduktion dargestellt. Die Vielzahl und die Heterogenität der online verfügbaren Inhalte erfordert allerdings die Automatisierung der Content-Auswahl durch recommender systems. Wir zeigen, dass der Einsatz solcher Systeme die Gatekeepers-Rolle von Redakteur*innen nicht abschafft, sondern nur verschiebt – und zwar im Moment der maschinellen Content-Verbreitung. Außerdem argumentieren wir, dass die Täuschung der Demokratisierung mit der Täuschung der Unentgeltlichkeit der Nutzung von Plattformen und mit dem Problem des unbezahlten „digital labor“ eng verbunden ist. Abschließend werden alternative, community-basierte Formen der Deutungsmachtverteilung in digitalen Umgebungen ausgewertet.
Dr. des. Sergio Genovesi ist Projektmitarbeiter im KI.NRW-Flagship-Projekt „Zertifizierte KI“ am Center for Science and Thought der Universität Bonn;
Dr. Julia Maria Mönig ist Leiterin des philosophischen Teilprojekts im KI.NRW-Flagship-Projekt „Zertifizierte KI“ am Center for Science and Thought der Universität Bonn